Baggertennis gilt als beliebtes Erwärmungsspiel – selten steht es dabei in der Kritik. Wo genau aber der eigentliche Kern des Übels liegt, erfahrt ihr im folgenden Text.
Samstag, etwa eine Stunde vor Spielbeginn. Die Gäste sind gerade angereist, kommen langsam in die Halle. Drei Spielerinnen werfen die Tasche in die Ecke, die Blackroll ausgepackt, eine weitere geht Richtung Netzpfosten – Terraband. Die Trainerin kommt in die Halle, packt ihr Taktikboard aus, geht langsam zum Protokoll. Der Minutenzeiger der Hallenuhr, die man erst kurz suchen muss, bis man sie am Rande der Halle, dennoch relativ mittig, findet, zeigt nun auf die volle Stunde. Die Trainerin, mittlerweile fertig mit der Spielerliste, pfeift – die Feldzeit beginnt. Während alle Spielerinnen langsam Blackrolls und Terrabänder zur Seite räumen, schiebt sie den Ballkorb neben den Pfosten. Sie spielt den ersten Ball ein, der direkt auf die andere Seite gebaggert wird, der dort wiederum direkt auf die andere Seite gebaggert wird, der dort dann wiederum…
Baggertennis – eins der beliebtesten Volleyball-Aufwärmspielchen überhaupt. Leider. Denn im Grunde widerspricht es in so gut wie allen Teilen dem Volleyballspiel. Und es steht für ein großes Problem in vielen Trainingseinheiten: mangelnde Zielsetzung.
Baggertennis hält keiner Prüfung stand
Aber der Reihe nach: Was ist denn überhaupt das Problem an Baggertennis? Zunächst beinhaltet es ein Element, das wir im Volleyball unbedingt vermeiden wollen: nur einen Ballkontakt, bevor der Ball auf die andere Seite gespielt wird. Sowohl in der Annahme als auch in der Abwehr wollen wir aber drei Ballkontakte, um so eine optimale Angriffssituation und eine gute Punktchance zu schaffen. Auch wenn der „Laser“, wie dieser direkt gespielte Ball ebenfalls genannt wird, in manchen Situationen durchaus Punkte bringt: Ab einem bestimmten Niveau und spätestens ab dem zweiten Ball verschenkt man wertvolle Angriffschancen. Ganz abgesehen davon, dass nur gebaggert wird.
Wo ist der Spielbezug?
Warum dann Baggertennis, von Kreisklasse bis Bundesliga? Einige gute Argumente sprechen dafür: Ich trainiere Antizipation, die Beobachtung des Balls und die Gegnerbeobachtung, ich trainiere meine Reaktionsfähigkeiten, das präzise Baggern. Ja sogar cleveres Fintieren, wenn ich antäusche, den Ball lang zu spielen, indem ich das Gesicht verziehe und meine Arme weit aushole, um dann letztendlich den Ball kurz abzulegen. Außerdem macht es auf jeden Fall Spaß. Was hier plausibel scheint, hält aber keiner härteren Prüfung statt. In wie vielen Situationen im Spiel ist man mit einem baggernden Gegner konfrontiert, der den Ball kurz irgendwo hinlegt, ja hinlegen kann? Man ist nie allein, immer zu sechst. Und in welche Situation versuche ich den Ball dann direkt wieder beim Gegner zu platzieren? Mein Ziel ist, in der Regel, den Ball optimal zu meinem Zuspieler auf meiner Spielfeldseite zu bringen, um dann im Anschluss anzugreifen – wo ist hier eine Folgehandlung, abgesehen vom Seitenwechsel?
Verschenkte Punkte – verschenktes Training?
Da reden wir noch nicht mal von organisatorischen Problemen, wie Spielern, die auf ihre nächste Ballberührung warten müssen oder sogar von draußen zuschauen – eine weitere Baustelle. Bleibt noch der Spaß. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Spaß ist vorhanden, auf jeden Fall. Doch die Frage ist: Finde ich nicht andere, ja bessere Spielformen, die genauso viel Spaß machen, aber näher am Geiste des Volleyballspiels sind? Und genau hier zeigt sich ein großes Problem beim Trainieren: die Arbeit an Zielen.
Dabei zeigt Baggertennis eine Sache sehr gut: Je nachdem, welches Ziel ich verfolgen möchte, kann ich dieses Spiel in ein gutes oder schlechtes Licht rücken. Wenn ich beispielweise als Teilziel die Laufarbeit und Reaktionsfähigkeit trainieren möchte, wäre Baggertennis in jedem Fall begründbar. Möchte ich allerdings damit die Abwehr körperferner Bälle verbessern, wäre es nicht die erste Wahl – die Gründe liegen auf der Hand, denn in der Abwehr möchte ich den Ball möglichst auf meiner Netzseite lassen. Und so ließe sich dieses Prinzip auf alle Übungs- und Spielformen übertragen.
„Die Übung hab‘ ich auf YouTube gesehen.“
Der Kern allen Übels wird dabei gut von einem Satz angedeutet, den bestimmt schonmal (fast) jeder Trainer gesagt hat: „Die Übung hab‘ ich auf YouTube gesehen.“ Dabei ist YouTube nicht das Problem – das eigentlich Problematische ist, dass viele Trainer nicht in Zielen, sondern in Übungen denken. Dazu ein kleines Beispiel.
Ein Trainer hat festgestellt, dass seine Abwehr nicht gut arbeitet. Am Tag vor dem Training, zur gewohnten Zeit, sitzt er vor seinem Computer und surft ein wenig durchs Internet. „Abwehr Volleyball“ gibt er bei YouTube ein. Da kommt zunächst ein Video des mehrfachen Meisters der Frauen, Schwerin, dann eins des direkten Konkurrenten Stuttgart, bei dem witzigerweise laut Titel Abwehr trainiert wird, allerdings im Grunde Annahme gemeint ist, dann ein bekanntes witziges Video, in dem einem Abwehrspieler die ganze Zeit ins Gesicht angegriffen wird – hier anschauen – und irgendwann stößt er auf ein Video der deutschen Nationalmannschaft der Männer. Darin steht der Bundestrainer vorn am Netz, die anderen Spieler starten am Netz und lösen sich dann in die Abwehr, müssen einen Ball abwehren, ein anderer Spieler macht dann ein Feldzuspiel und geht anschließend wieder zum Block.
Training ohne Ziel?
Nächster Tag, kurze Erwärmung, dann: Abwehrtraining. Er stellt sich vorn ans Netz, seine Spielerinnen stehen am Netz, also im Grund nur eine, der Rest wartet, er schlägt und schlägt, die Damen wehren ab und wehren ab. „Naja“, werden jetzt einige sagen, „das Beispiel hinkt. Jetzt wirkt es so, als sei die Übung nicht gut, weil er ja viele Spielerinnen hat, die nichts zu tun haben. Eigentlich hätte er die Gruppen ja teilen oder mit einem Zuspieler arbeiten können, um so die Wartezeiten zu verringern.“ Völlig korrekt. Aber dieses organisatorische Problem, genauso wie die Problematik, dass Trainer immer angreifen müssen – dem könnte man einen eigenen Kommentar widmen – soll hier im Fokus stehen. Das Problem dabei ist das Ziel.
Schaut man sich den Titel des Videos an – spezielle Erwärmung für Abwehrtraining – wird deutlich, dass es kein Abwehrtraining ist, sondern nur eine Erwärmungsform. Wieso? Erstens, kein Angreifer greift von der eigenen Seite so weit unterhalb der Netzoberkante an. Zweitens, kein Abwehrspieler versucht bei leichten Angriffen, den Ball mittig im Feld zu lassen, um ihn, in dem Fall hier, besser zuspielen zu können. Drittens, das Timing ist ein anderes bei einem richtigen Angriff mit vorherigem Zuspiel. Viertens, ich habe nach der Abwehr eine Folgehandlung, wobei hier schon gut ist, dass ich eine andere Ausgangsposition habe, von der aus ich mich erst in die Abwehr bewegen muss.
Großer Appell: Erst das Ziel, dann die Übung
Das Beispiel verdeutlicht die Thematik gut: Hier wurde eine Übung passend zum Thema, nicht zum Ziel ausgewählt. Und so werden viele Trainingseinheiten zusammengeplant: Übung X wird dann mit Spiel Y kombiniert, obwohl eventuell komplett verschiedene Ziele verfolgt werden. Von der Kreisklasse bis zur Bundesliga – denn auch da findet man so ein Vorgehen – sollte sich vor jedem Training ein Ziel gesteckt werden, und das so konkret wie möglich. Wenn ich, wie im Beispiel, zunächst das Ziel setze: „Die Spielerinnen sollen die körperferne Abwehr von hart geschlagenen Bällen von der gegnerischen Position IV verbessern“, dann kann ich anschließend meine einzelnen Teilziele davon ableiten, wovon eins die Vorbereitung wäre, wobei ich hier die Erwärmungsübung durchaus nutzen kann. Im folgenden Teil müssen dann aber bessere Übungs- oder Spielformen gewählt werden, um das Trainingsziel erreichen zu können.
Warum brauche ich aber diese Ziele? Ist das nicht Krümelkackerei?
Klare Antwort: nein. Ohne Ziele findet keine Entwicklung statt. Dann trainiere ich nur, um zu trainieren. Ich verbessere mich nicht effektiv. Lieber irgendein Ziel, als gar keins. Wenn ich einfach so Baggertennis spiele, mit welchen Ziel tue ich das denn? Wieso spiele ich es nicht mit zwei Ballkontakten? Wieso spiele ich es überhaupt? Das sind Fragen, die jeder Trainer für sich entscheiden muss. Aber im Moment werden diese Fragen viel zu wenig gestellt.
Über den Autor
Norman Hüttner ist A-Trainer und Mitglied im Bundesausschuss Bildung und Wissenschaft des Deutschen Volleyball-Verbands. |
Titelbild: Detlef Gottwald
7 Kommentare
Jan Maier · 2. Oktober 2019 um 20:25
Sehr guter Artikel Norman. Überlegt, nicht dogmatisch und nachvollziehbar. Training ohne Ziel ist das was Volleyballtraining ganz schnell zum reinen Fitnesstraining macht.
Nikolaus Novak · 2. Oktober 2019 um 22:11
Das Ziel bestimmt den Weg. Interessanter Artikel mit verschiedenen Argumenten, die die These bestätigen oder widerlegen.
Übrigens konnte ich bei verschiedenen Hospitationen auch Nationalteams beim Baggertennis beobachten. Und mit den richtigen Variationen und mehreren Ballkontakten kann es auch zielführend verwendet werden. Aber als Trainer sich immer wieder zu fragen und zu prüfen, ob die Übungen und das Training tatsächlich geeignet waren, das Trainingsziel zu erreichen, ist gut investierte Zeit. Und Artikel wie diese regen zum Nachdenken an.
Gegenfrage – 4 wesentliche Elemente gehören zum Training : Athletik, Technik, Taktik und mental Coaching. Wieviel Prozent nehmen die verschiedenen Aspekte ein? ?
Sonnige Grüße aus Mallorca
Nik
Matthäus Kuna · 3. Oktober 2019 um 1:51
Den Schlussfolgerungen aus dem Artikel kam ich nur zustimmen. Allerdings könnte man das auf viele Übungsformen beziehen. Das reines Baggertennis nicht spielnah ist (Stichwort NICHT Rückschlagspiel), sollte jedem Volleyballer einleuchten. Viel interessanter wäre ein Artikel, der beleuchtet, inwiefern man Baggertennis spielnah ins Training oder auch in die Erwärmung einbeziehen kann. Es gibt auch eine Reihe von Argumenten, Baggertennis zu Spielen (mit volleyballnahen Zielen). Im Endeffekt ist es wie mit vielen Sachen in der heutigen Zeit, gut gemeint ist nicht immer gut genug oder wie im Artikel erwähnt: Hab ich bei Youtube gesehen ?
Volleyconcept · 3. Oktober 2019 um 8:20
https://volleyconcept.eu/de : 40 Volleyball Trainingseinheiten.
Priv.-Doz. Dr. Frank Gossé · 3. Oktober 2019 um 20:26
Lieber Norman Hüttner,
könnte es nicht sein, dass das Aufwärmspiel „Baggertennis“ deshalb eine Berechtigung in unseren Volleyballhallen hat, weil es eben ein Spaß bringendes AUFWÄRM-Spiel ist und mit ihm gar nicht das Ziel eines Spielbezuges verfolgt werden soll? Der schon fast pathologische Zwang der heutigen „i-pad Trainer“, jegliche Art von Sport in seine Einzelteile zu zerlegen und zu analysieren, um sich damit einen akademischen „Anstrich“ zu geben, ist inzwischen wirklich anstrengend.
Unterirdisch in Ihrem Artikel (selbst für eine online Publikation) ist die schlechte Orthographie und Zeichensetzung.
Hendrik Radke · 31. Oktober 2019 um 2:23
Sehr gut geschriebener und interessanter Artikel.
VolleyballFREAK stellt vor… Das neue DVV-TrainerPortal · 7. November 2019 um 9:11
[…] bereits wenige Tage nach Veröffentlichung des kontrovers-diskutierten ersten Blog-Posts „Meinung: Lasst das Baggertennis sein!“ angesprochen und gesagt, dass er trotz des Artikels weiter auf Baggertennis im Training setzen […]