Einleitung

Als im März 2020 der Trainings- und Wettkampfbetrieb durch die Corona-Pandemie abrupt gestoppt wurde, blieb plötzlich viel Zeit für Anderes. Da wir unserer Volleyball-Leidenschaft natürlich trotzdem weiter nachgehen wollten, begannen wir uns in regelmäßigen Online-Talks auszutauschen. Über das letzte Jahr hinweg entwickelte sich aus den gemeinsamen Gesprächen die Idee des Volleyball Think Tank. Damit wollen wir unsere kritischen, optimistischen und sogar träumerischen Ideen und Gedanken nach außen tragen und Diskussionen und Projekte anstoßen, um die Entwicklung im Jugendvolleyball voranzutreiben.

Ein immer wiederkehrendes Thema unserer Gespräche war das aktuelle Nachwuchssystem im deutschen Volleyball und dort insbesondere der Bereich des Kleinfeldvolleyballs. Wir haben uns gefragt, welchen Anforderungen die Wettkampfformen im Nachwuchsvolleyball gerecht werden müssen und wie unser ideales Wettkampfsystem aussehen würde. Warum wir das aktuelle Nachwuchssystem dabei nicht als optimal ansehen und welche Änderungen wir diskutiert haben, lest ihr im folgenden Artikel.

Ist-Stand im Jugendvolleyball

2 gegen 2, 3 gegen 3, 4 gegen 4. Kaum haben Nachwuchsvolleyballer:innen ein Spielsystem verinnerlicht müssen sie auch schon wieder ein neues Erlernen. Dabei bauen die Systeme zusätzlich nur bedingt aufeinander auf. Während im 2 gegen 2 der erste Ball in den freien Raum gespielt wird und die andere Person für das Zuspiel einläuft, verschwindet dieser Aspekt im 3 gegen 3 sowie in der klassischen Spielweise des 4 gegen 4 wieder. Hier wird der erste Ball in der Regel auf eine statische, am Netz positionierte zuspielende Person gespielt. Mit dem Übergang zum 6 gegen 6 wird im Normalfall ein Läufersystem eingeführt, das wiederum auf das Spielen in den freien Raum sowie das Einlaufen der zuspielenden Person aufbaut.

Zusammen mit den wechselnden Feldgrößen, Netzhöhen und teils auch Spielgeräten (vom Leichtball zum normalen Volleyball) sind Nachwuchsspieler:innen in Deutschland in kurzer Zeit vielen grundlegenden Veränderungen ausgesetzt. Vor allem aber sind sie nur bedingt auf den Übergang zum Zielspiel (6 gegen 6) vorbereitet, sodass dieser sie zunächst häufig überfordert. Eine veränderte Spielstruktur im Kleinfeldbereich könnte einer möglichen Überforderung Abhilfe schaffen und gleichzeitig die Vermittlung sowie den schrittweisen Aufbau des späteren Spielsystems im 6 gegen 6 verstärken.

Zudem können Quereinsteiger:innen mit dem aktuellen System oft nicht auf einem sinnvollen Niveau in den Sport einsteigen. Durch die strikte Unterteilung der Alterskategorien muss beispielsweise eine dreizehnjährige Neueinsteigerin in der U14 spielen, obwohl es für ihren persönlichen Fortschritt besser wäre, in der U12 zu starten.

Aus unseren Erfahrungen im Nachwuchsvolleyball lässt sich außerdem ableiten, dass die Ballwechsel häufig bereits nach der ersten oder zweiten Berührung enden. Insbesondere im mittleren und unteren Leistungsniveau kommt das Spiel in vielen Fällen kaum über Aufschlag und Annahme heraus. Zuspielhandlungen und vor allem Angriffsschläge im Sprung kommen im Spiel nur sehr wenig vor.

Welche Probleme sehen wir bei der aktuellen Herangehensweise an den Jugendspielbetrieb?

1. In den meisten Landesverbänden dient die Jugendspielrunde als Qualifikationsrunde für die Landesmeisterschaften

  • Ist es wirklich unser Ziel, das gesamte Jugendspielsystem auf die Jugendmeisterschaften/ Deutschen Meisterschaften auszurichten, bei denen nur ein Bruchteil der Teams spielen wird?

2. Starre Einteilung der Ligen nach kalendarischem Alter und wenig Zeit pro Stufe

  • Spieler:innen, die die Grundlagen noch nicht beherrschen, werden in die nächste Entwicklungsstufe gezwungen
    • Keine Rücksichtnahme auf Trainingsalter oder biologisches Alter.
      • Spielfeld und biologisches Alter passen nur für die wenigsten Kinder zusammen
    • Teils deutliche Unterschiede im Spielniveau
      • Unsere Kinder haben zu wenig knappe, spannende Spiele. Daher sind viele Kinder/Teams über- oder unterfordert
      • Steht der Aufwand (mindestens einen halben Tag in der Halle) in einem gesunden Verhältnis zum Ertrag (Anzahl Spiele, Ballkontakte, …)?
    • Das aktuelle Spielsystem ist auf einen Einstieg mit 10/11 Jahren ausgelegt
      • Erstes Volleyballtraining mit 12 Jahren ist für Kinder bereits zu spät, um vom aktuellen System optimal gefördert werden zu können
      • Durch die permanenten und schnellen Änderungen im System sind Spieler:innen mit 12 Jahren faktisch bereits Quereinsteiger:innen
    • Insbesondere kleine Vereine haben Probleme Jugendteams zu melden, da die U13 und die U14 nur einen Jahrgang umfassen

3. Methodische Hinleitung zum Zielspiel fraglich

Die methodische Hinleitung zum Zielspiel ist zwar auf den ersten Blick über die Vergrößerung des Feldes, die Erhöhung des Netzes und den Anstieg der Anzahl an Spieler:innen vorhanden. In der Struktur des Spiels fehlt jedoch der rote Faden, da es ständig wechselnde Anforderungen gibt (siehe Ist-Stand).

  • Mehrfacher Wechsel der Systematik (Spiel in den freien Raum/Spiel auf eine feste Position)
  • Das Angriffs- und Blockspiel wird nur unzureichend gefördert bzw. kommt zu selten vor 

Welche Lösungen sehen wir für eine zukünftige Herangehensweise an den Jugendspielbetrieb?

Aus unserer Sicht ist es die Hauptaufgabe aller Wettkampfformen im Kleinfeldbereich die Spieler:innen optimal an das eigentliche Zielspiel, also das 6 gegen 6, heranzuführen. Der Fokus sollte in diesen Spielformen also in der Ausbildung einer technischen wie auch taktischen Grundlage liegen. Im Idealfall lernen die Spieler:innen in diesen Spielformen bereits das, was sie später im Zielspiel benötigen und gleichzeitig möglichst wenige Dinge, die später nicht mehr benötigt werden. Die Schwierigkeit liegt nun also darin, Spielformen zu entwickeln, die dem Zielspiel möglichst ähnlich sind, ohne die jungen Volleyballer:innen zu überfordern.

Wir möchten deshalb hier einige Ideen vorstellen, mit deren Hilfe die zuvor angesprochenen Probleme aus unserer Sicht gelöst werden können.

1. In vielen Landesverbänden dient die Jugendspielrunde als Qualifikationsrunde für die Jugendmeisterschaften

Vorschläge zur Verbesserung der Situation

  • Loslösung der Spielrunde von der Qualifikation für die Jugendmeisterschaften
    • Qualifikation für die Jugendmeisterschaften über Qualifikationsturniere/-spiele
    • “Top Teams” spielen eine eigene Liga
  • „Out of the Box“-Denken bei den Spielregeln – Anfänger:innen müssen nicht direkt das Zielspiel spielen!
    • Anfänger:innen könnten durch Regelanpassungen früher am Spiel teilnehmen (z.B. Cool Volley, Smash Ball, S3/Spikeball)
    • Mehr Ballkontakte, längere Ballwechsel, mehr Angriffshandlungen
    • Mehr Spiel führt zu mehr Begeisterung, Begeisterung führt zu mehr Motivation

2. Starre Einteilung der Ligen nach kalendarischem Alter, und dies mit einem sehr engen Korridor (3 Jahre in Folge nur 1 Jahr pro Stufe).             

Vorschläge zur Verbesserung der Situation:

  • Flexible Einteilung der Jugendstaffeln nach Spielstärke
    • Durch Selbsteinschätzung der Trainer:innen
    • Erster Spieltag als “offener” Spieltag, danach Einteilung
    • Besser noch: Aufhebung der Einteilung “U12”, “U13”, “U14”, Meldungen der Mannschaft nach Spielerfahrung “Einsteiger:innen”, “Fortgeschrittene” und “Profis”
  • Jugendspieltage als Turniere mit der Möglichkeit zum Auf- und Abstieg bzw. zur Änderung der Meldung
    • Beispiel Beachvolleyball: spielen von Turnieren je nach aktuellem Könnens-Stand

3. Methodische Hinleitung zum Zielspiel fraglich

Vorschläge zur Verbesserung der Situation

  • Immer „Spielen in den freien Raum“
  • Kontrollelemente, um den Spielaufbau zu garantieren (z.B. Fangen des ersten/zweiten Balles)
  • Flacheres Netz, größeres Feld, leichterer Ball

Wie könnte ein alternatives Wettkampfsystem aussehen?

Ausgehend von den oben dargestellten Lösungen haben wir einen Vorschlag für ein alternatives Spielsystem entwickelt, den wir euch in der folgenden Grafik darstellen wollen (Abbildung 1). Die Regeln und Level von SmashBall können aus der Abbildung 2 entnommen werden oder auf dem folgenden Video nachgeschaut werden: https://www.youtube.com/watch?v=-DRbQhxno5Q

Abb. 1. Vorschlag eines alternativen Spielsystems.
Abb. 2. Verschiedene Level der Spielform “SmashBall”, entnommen aus dem dazugehörigen Video

Beispiel Spielsystem 4-4

Die Spielform 4 gegen 4 kann sehr gute Möglichkeiten bieten, das spätere Spiel im 6 gegen 6 vorzubereiten. Insbesondere in der Variante mit 2 Netz- und 2 Hinterspieler:innen lassen sich bereits viele Bewegungsabläufe und Handlungsketten des “richtigen” Volleyballspiels trainieren.

In dieser Variante werden die Positionen 1, 2, 4 und 5 aus dem 6 gegen 6 besetzt, die Positionen 3 und 6 bleiben frei. Grundsätzlich übernimmt eine Person auf der Position 1 das Zuspiel. Verteidigt diese den 1. Ball agiert die Person auf der Position 5 als Hilfszuspieler:in. Im K1 wird ein Läufer 1 mit einem 3er Annahmeriegel gespielt. Im K2 agiert jeweils ein:e Spieler:in als Block-, die drei anderen als Verteidigungsspieler:innen (Abbildung 3).

Dies bietet folgende Vorteile:

  • Spielen des 1. Balles in den freien Raum & Einlaufen zum Zuspiel
  • Zuspiel von Position 1 & 5 (wie im späteren Spiel)
  • Gleiche Bewegungsabläufe & Entscheidungen
    • Blocken oder Verteidigen
    • Fußarbeit in der Transition (Block -> Angriff, Netz -> Abwehr -> Angriff)
    • Verschiebung Basis (Ausgangsposition) -> Abwehr auf Pos. 1 & 5
Abb. 3. Beispiele im 4 gegen 4, K1 = Komplex 1, K2 = Komplex 2

Fazit

Unser Ziel ist es mit diesem Artikel eine kritische Diskussion über die Ausbildung im Jugendbereich zu starten. Wir glauben, dass es hier ein großes Potenzial gibt, die Ausbildung für die Zukunft weiterzuentwickeln, um effizienter und individueller mit unseren Sportler:innen arbeiten zu können. Dass dieser Prozess geprägt sein wird von vielen Diskussionen und verschieden Meinungen, ist normal und uns mehr als bewusst. Denn auch wir waren nicht in allen Punkten immer einer Meinung. Aber wie in einer guten Ehe, im Vereinsleben und in der Politik ging es am Ende um eine gemeinsame Basis und Kompromisse. Für uns waren die folgenden Punkte die Hauptgründe und Leitgedanken (unsere Gemeinsamkeiten):

  1. In der Ausbildung sollte der Fokus von Beginn an auf Spielsystemen mit gleichen Handlungsketten, Bewegungsmustern und Spielideen wie im späteren 6 vs. 6 liegen. Dies soll einen klareren Verlauf bei der Entwicklung von Techniken und Taktiken ergeben und den Übergang vom Kleinfeld zum Großfeld erleichtern.
  2. Wir wünschen uns einen ganzheitlicheren und langfristigeren Aufbau über mehrere Jahre, in dem das Grundspielsystem gleich bleibt. Wir möchten, dass Spieler:innen das „Spiel“ lernen, verbessern und meistern können, bevor ein Wechsel ansteht.
  3. Längere Ballwechsel, mehr Spielfluss und mehr Angriffshandlungen sind Dinge, die wir alle im Volleyball immer wieder haben wollen. Daher bedarf es der Möglichkeit durch sinnvolle Vereinfachungen, Regeln und leistungsorientierte Eingruppierungen, eine Spielform zu finden, die die Entwicklung optimal unterstützt.

Durch die Kontrollelemente, wie das Fangen des ersten oder zweiten Balles, in Verbindung mit dem vorgeschlagenen Spielsystem mit zwei Vorder- und zwei Hinterspieler:innen können wir auch mit Anfänger:innen und Fortgeschrittenen schon Bewegungsabläufe und Handlungsketten trainieren, die wir im späteren Spiel auf dem Großfeld benötigen. Durch die niedrigeren Netze und die Verwendung von Leichtbällen ermöglichen wir es auch den Jüngsten sowie Spätentwickler:innen schon früh die wichtigen und spaßbringenden Techniken des Angriffsschlags und Blocks erfolgreich im Spiel einsetzen zu können.

Wir freuen uns auf eure Kommentare, eine konstruktive Diskussion und stehen zum Meinungsaustausch gerne bereit.

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Über die Autoren
Marcel Diekmann: Sportwissenschaftler (M.Sc.), A-Trainer, Trainer im Regionalen Trainingszentrum Zürich, Talent-Scout Mädchen Zürich
Patrick Fielker: Sportwissenschaftler (B.Sc.), A-Trainer, hauptamtlicher Jugendtrainer USC Münster
Michael Maurus: Diplom-Informatiker, A-Trainer, TV Eiche Horn Bremen, NWVV Stützpunkttrainer Bremen
Marius Stucke: Sportwissenschaftler (B.Sc.), A-Trainer, Landestrainer Thüringen weiblich, Mitglied im Lehrausschuss des TVV

Titelbild: Steffen Köhler

Kategorien: Allgemein